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2022-44
Ausschluss von Krankenunterlagen als Beweismittel im MDK-Prüfverfahren (Präklusionsregelung)
§ 7 Abs 2 S 2 bis 4 Prüfvereinbarung i.d.F. vom 18.7.2014 enthält eine materielle Präklusionsregelung mit der Rechtsfolge, dass konkret bezeichnete Unterlagen, die der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) im Rahmen eines ordnungsgemäßen Prüfverfahrens angefordert, das Krankenhaus aber nicht innerhalb der Frist von vier Wochen vorgelegt hat, auch in einem späteren Gerichtsverfahren nicht mehr zur Begründung des Vergütungsanspruchs berücksichtigt werden dürfen; die präkludierten Unterlagen sind als Beweismittel endgültig ausgeschlossen.
BSG, Urteil vom 22.06.2022 - B 1 KR 17/21 R -
Sachverhalt:

Die Beteiligten streiten über die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung.

Das klagende Krankenhaus behandelte eine Versicherte der beklagten Krankenkasse (KK) stationär vom 6. 10. 2015 bis zum 13. 11. 2015 sowie vom 16. 11. 2015 bis zum 9. 12. 2015 und berechnete hierfür 32 940,89 EUR nach Fallpauschale (DRG) I01Z (Beidseitige Eingriffe oder mehrere große Eingriffe an Gelenken der unteren Extremität mit komplexer Diagnose). Die KK zahlte diesen Betrag zunächst, leitete anschließend jedoch eine Überprüfung der kodierten Prozeduren und Zusatzentgelte sowie der medizinischen Notwendigkeit der Überschreitung der oberen Grenzverweildauer durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein. Der MDK forderte das Krankenhaus daraufhin auf, sämtliche Behandlungsunterlagen zu übersenden, die geeignet seien, die Fragestellung der Krankenkasse bezogen auf den Prüfanlass vollumfänglich zu beantworten bzw. die zur Beurteilung der Voraussetzungen, Art und Umfang der Leistung sowie zur Prüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung benötigt würden, auf jeden Fall aber den Entlassungsbericht und für den Fall, dass Interventionen durchgeführt worden seien, auch die OP- bzw. Interventionsberichte. Beim MDK gingen nicht näher bezeichnete Unterlagen ein. In seinem Gutachten vom 21. 4. 2016 teilte der MDK auf der Grundlage von „Auszügen aus der Patientenakte“ mit, die Überschreitung der oberen Grenzverweildauer sei medizinisch nicht begründet und die Prozeduren und Zusatzentgelte seien nicht belegt. Weder der Entlassungsbericht noch ein OP-Bericht seien übersandt worden. Nach erfolgloser Rückforderung des sich daraus ergebenden Betrags von 17 125,02 EUR, verrechnete die KK diesen Betrag am 11. 7. 2016 mit anderweitigen unstreitigen Forderungen des Krankenhauses.

Im Klageverfahren hat das SG die Patientenakte (einschließlich des OP-Berichts) beigezogen. Die KK hat daraufhin mitgeteilt, auf Grundlage dieser Unterlagen sei die Abrechnung nicht zu beanstanden. Das SG hat die KK zur Zahlung der ausstehenden Vergütung von 17 125,02 EUR nebst Zinsen verurteilt. Das LSG hat die Berufung der KK zurückgewiesen: Aus den vorliegenden Unterlagen ergebe sich, dass die durchgeführte Behandlung notwendig gewesen und zutreffend abgerechnet worden sei. Dies sei zwischen den Beteiligten inzwischen auch unstreitig. Dem Krankenhaus sei zwar nicht der Nachweis gelungen, dass es die angeforderten OP- und Entlassungsberichte übersandt habe. § 7 Abs. 2 der Vereinbarung über das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275 Abs. 1 c SGB V (Prüfverfahrensvereinbarung – PrüfvV 2014) stehe dem Vergütungsanspruch aber nicht entgegen. Diese Vorschrift enthalte keine materielle Ausschlussfrist, sondern eine Verfahrensvorschrift. Die Berücksichtigung der erst im Klageverfahren vorgelegten Unterlagen zur Begründung des Anspruchs sei daher nicht ausgeschlossen (Urteil vom 3. 12. 2020).

Die KK rügt mit ihrer Revision die Verletzung von § 39 Abs. 1 Satz 3 und § 109 Abs. 4 Satz 2 SGB V, § 17 c Abs. 2 KHG und § 7 Abs. 2 Satz 2 bis 4 PrüfvV 2014. Das Krankenhaus sei mit der Begründung des Vergütungsanspruchs durch die nicht fristgerecht vorgelegten Unterlagen nach § 7 Abs. 2 PrüfvV 2014 präkludiert.

Die Beklagte beantragt, die Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 3. 12. 2020 und des SG Dortmund vom 27. 6. 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 3. 12. 2020 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.

Urteilsbegründung:

Die zulässige Revision der beklagten KK ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Der Senat kann auf Grundlage der Feststellungen des LSG nicht entscheiden, ob dem Krankenhaus der geltend gemachte Vergütungsanspruch zusteht, oder ob die KK mit einem aus der Behandlung der Versicherten resultierenden Erstattungsanspruch wirksam aufgerechnet hat.

Das LSG hat den Erstattungsanspruch verneint. Es ist davon ausgegangen, dass § 7 Abs. 2 Satz 2 bis 4 PrüfvV 2014 keine materielle Ausschlussfrist regelt, sondern lediglich verfahrensrechtliche Bedeutung hat mit der Folge, dass zur Begründung von Vergütungsansprüchen auch noch nach Ablauf der Frist von vier Wochen nach § 7 Abs. 2 Satz 3 PrüfvV 2014 im Klageverfahren vorgelegte Unterlagen berücksichtigt werden können. Dies hält einer revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand. § 7 Abs. 2 Satz 2 bis 4 PrüfvV 2014 enthält zwar – wie dies auch das LSG zu Recht angenommen hat – keine materielle Ausschlussfrist. Die vom Krankenhaus zu vertretende Versäumung der Frist hat aber zur Folge, dass die vom MDK angeforderten, ihrer Art nach konkret bezeichneten Unterlagen, die das Krankenhaus aus von ihm zu vertretenden Gründen nicht fristgerecht übermittelt hat, als Beweismittel präkludiert sind. Das LSG muss daher unter Außerachtlassung dieser Unterlagen erneut über den Vergütungsanspruch des Krankenhauses entscheiden.

1. Wie der Senat bereits entschieden hat, enthält § 7 Abs. 2 Satz 2 bis 4 PrüfvV 2014 eine materielle Präklusionsregelung mit der Rechtsfolge, dass konkret bezeichnete Unterlagen, die der MDK im Rahmen eines ordnungsgemäßen Prüfverfahrens angefordert, das Krankenhaus aber nicht innerhalb der Frist von vier Wochen vorgelegt hat, auch in einem späteren Gerichtsverfahren nicht mehr zur Begründung des Vergütungsanspruchs berücksichtigt werden dürfen. Die präkludierten Unterlagen sind als Beweismittel endgültig ausgeschlossen. Dies ist von der Ermächtigungsgrundlage in § 17 c Abs. 2 KHG (i. d. F. des Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung vom 15. 7. 2013, BGBl I S. 2423) getragen und mit dem GG vereinbar (siehe dazu im Einzelnen BSG vom 18. 5. 2021 – B 1 KR 32/20 R – BSG Bd. 132 S. 143 = SozR 4-2500 § 275 Nr. 33; BSG vom 18. 5. 2021 – B 1 KR 24/20 R – juris).

2. Die Voraussetzungen der Präklusion liegen nach den nicht mit zulässigen Revisionsrügen angegriffenen und für den Senat daher bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) hier vor. Die PrüfvV 2014 ist zeitlich und sachlich insoweit anwendbar, als es um eine Auffälligkeitsprüfung geht (dazu a). Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 Satz 2 PrüfvV 2014 sind erfüllt (dazu b). Das Krankenhaus hat die vom MDK angeforderten, konkret bezeichneten Unterlagen nicht innerhalb von vier Wochen übermittelt (dazu c).

a) § 7 Abs. 2 PrüfvV 2014 ist zeitlich, aber auch sachlich anwendbar, soweit der Prüfauftrag der KK auf eine Überprüfung der Wirtschaftlichkeit der Krankenhausbehandlung gerichtet war, nicht hingegen hinsichtlich der sachlich-rechnerischen Prüfung (vgl. zum Ganzen BSG vom 10. 11. 2021 – B 1 KR 43/20 R – juris Rdnrn. 14 ff.). Davon ist das LSG auch zutreffend ausgegangen. Dies betraf vorliegend die Überschreitung der oberen Grenzverweildauer und die Abrechnung der Zusatzentgelte.

Das LSG hat den Prüfauftrag der KK ohne Rechtsfehler und daher für den Senat bindend (vgl. zum Maßstab BSG vom 23. 5. 2017 – B 1 KR 28/16 R – juris Rdnr. 40; BSG vom 26. 2. 2019 – B 1 KR 24/18 R – BSG Bd. 127 S. 240 = SozR 4-2500 § 13 Nr. 46, Rdnr. 15, jeweils mit weiteren Nachweisen) dahingehend ausgelegt, dass die Prüfung im Sinne einer „Vollprüfung“ sowohl eine sachlich-rechnerische Prüfung bezogen auf die Kodierung der Prozeduren als auch Auffälligkeitsprüfungen bezüglich einer Überschreitung der oberen Grenzverweildauer sowie der Abrechnung der Zusatzentgelte erfasste. Die Anwendbarkeit der PrüfvV 2014 ist hier insoweit ausgeschlossen, als der von der KK erteilte Prüfauftrag neben der Wirtschaftlichkeitsprüfung auch die Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit der Abrechnung, d. h. der Kodierung der Prozeduren umfasste. In Bezug auf die Überschreitung der oberen Grenzverweildauer und der Abrechnung der Zusatzentgelte fand die PrüfvV 2014 hingegen Anwendung (vgl. hierzu BSG vom 10. 11. 2021 – B 1 KR 43/20 R – juris Rdnr. 17).

b) Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 Satz 2 PrüfvV lagen nach den bindenden Feststellungen des LSG vor. Der MDK hat die Prüfung im schriftlichen Verfahren durchgeführt und die für die Prüfung benötigten Unterlagen mit dem Schreiben vom 3. 3. 2016 ihrer Art nach konkret bezeichnet angefordert (vgl. dazu BSG vom 18. 5. 2021 – B 1 KR 24/20 R – juris Rdnr. 17; BSG vom 10. 11. 2021 – B 1 KR 22/21 R – juris Rdnrn. 10 ff.). Ihrer Art nach konkret bezeichnet hat der MDK den Entlassungsbericht, sowie OP- und Interventionsberichte. Die pauschale Forderung nach Übersendung „sämtlicher Behandlungsunterlagen, die geeignet sind, die Fragestellung der Krankenkasse bezogen auf den Prüfanlass vollumfänglich zu beantworten bzw. die zur Beurteilung von Voraussetzungen, Art und Umfang der Leistung sowie zur Prüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung benötigt werden“, hat die Rechtsfolge des § 7 Abs. 2 PrüfvV 2014 hingegen nicht ausgelöst (vgl. hierzu im Einzelnen z. B. BSG vom 18. 5. 2021 – B 1 KR 24/20 R – juris Rdnrn. 17 ff., 38; BSG vom 10. 11. 2021 – B 1 KR 9/21 R – juris Rdnr. 17).

c) Nach den bindenden Feststellungen des LSG hat das Krankenhaus die ihrer Art nach konkret bezeichneten Unterlagen, d. h. den Entlassungsbericht sowie OP- und Interventionsberichte, nicht fristgerecht übersandt. Es ist hierbei zu Recht davon ausgegangen, dass das Krankenhaus hierfür die objektive Beweislast trägt, es also zu seinen Lasten geht, wenn der fristgerechte Zugang der Unterlagen trotz Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Amtsermittlung nicht nachweisbar ist (vgl. BSG vom 10. 11. 2021 – B 1 KR 43/20 R – juris Rdnr. 22 mit weiteren Nachweisen). Aus den Feststellungen des LSG ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der nicht fristgerechte Eingang der angeforderten Unterlagen beim MDK vom Krankenhaus nicht zu vertreten gewesen sein könnte (vgl. hierzu BSG vom 10. 11. 2021 – B 1 KR 43/20 R – juris Rdnrn. 23 ff.).

3. Die durch § 7 Abs. 2 Satz 4 PrüfvV 2014 bewirkte materielle Präklusion hat vorliegend zur Folge, dass der Entlassungsbericht sowie OP- und Interventionsberichte auch im Gerichtsverfahren nicht mehr zur Begründung des Vergütungsanspruchs berücksichtigt werden dürfen, soweit die KK die Unwirtschaftlichkeit der stationären Behandlung behauptet. Sie sind als Beweismittel endgültig ausgeschlossen (vgl. BSG vom 18. 5. 2021 – B 1 KR 32/20 R – BSG Bd. 132 S. 143 = SozR 4-2500 § 275 Nr. 33, Rdnr. 10; BSG vom 18. 5. 2021 – B 1 KR 24/20 R – juris Rdnr. 11). Es ist insofern unerheblich, dass der Vergütungsanspruch der Sache nach zwischen den Beteiligten „unstreitig“ ist, nachdem die KK im Klageverfahren mitgeteilt hat, auf Grundlage der erst jetzt vom Krankenhaus übersandten Patientenakte einschließlich des OP-Berichts sei die Abrechnung nicht zu beanstanden. Denn darin liegt weder ein prozessuales Anerkenntnis der KK, noch hat sie damit ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis unter der Bedingung abgegeben, auf andere Einwendungen als die materiellrechtliche Ausschlussfrist verzichten zu wollen (vgl. hierzu BSG vom 10. 11. 2021 – B 1 KR 9/21 R – juris Rdnr. 20; BSG vom 10. 11. 2021 – B 1 KR 43/20 R – juris Rdnr. 38).

4. Im wiedereröffneten Berufungsverfahren muss das LSG feststellen, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe sich der streitige Vergütungsanspruch auch hinsichtlich der Überschreitung der oberen Grenzverweildauer und der Abrechnung der Zusatzentgelte unter Außerachtlassung der – ihrer Art nach konkret bezeichneten – Unterlagen nachweisen lässt. Der Inhalt präkludierter Unterlagen darf dabei auch nicht unter Umgehung der Präklusionsregelung, etwa durch ersetzende Zeugenaussagen, in das Verfahren eingeführt werden (vgl. BSG vom 18. 5. 2021 – B 1 KR 32/20 R – BSG Bd. 132 S. 143 = SozR 4-2500 § 275 Nr. 33, Rdnr. 35). Lässt sich nach Ausschöpfen der gebotenen Aufklärung nicht feststellen, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der abgerechneten Fallpauschale erfüllt gewesen sind, trägt das Krankenhaus die objektive Beweislast für das Vorliegen dieser tatbestandlichen Voraussetzungen (vgl. dazu z. B. BSG vom 14. 10. 2014 – B 1 KR 27/13 R – BSG Bd. 117 S. 82 = SozR 4-2500 § 109 Nr. 40, Rdnr. 18).

5. Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197 a Abs. 1 Teilsatz 1 SGG in Verb. mit § 63 Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 1 und 3 sowie § 47 Abs. 1 GKG.

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